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USA: Trekking durch die Vermilion Cliffs Wilderness

Auf der Suche nach
The Wave

.Text: Paul Smit, Fotografie: Paul Smit & Mick Palarczyk

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Im Herzen des Colorado Plateaus beginnt die Vermilion Cliffs Wilderness Area. Ein unbekanntes, unzugängliches und atemberaubend schönes Gebiet, das weiter von der menschlichen Zivilisation entfernt liegt als jedes andere Gebiet in Amerika. Hier liegt «The Wave», das bestgehütete Wandergeheimnis der USA.

   

Mick und ich müssen durch den Cockscomb Fault, einen achtzig Kilometer langen Riss, der wie eine offene Wunde durch die Erdkruste läuft. Das spart 150 Kilometer Umweg. Bei Kodachrome Basin lag noch Asphalt, jetzt fahren wir schon zwanzig Kilometer über Dirtroad. Die Löcher werden tiefer, die Waschbretter gemeiner. Am Horizont nähert sich eine Staubwolke. Zehn Minuten später hält ein grüner Geländewagen neben uns. Grand Staircase - Escalante National Monument steht darauf, der Name der ausgestreckten Leere, durch die wir fahren.

«What's up?» Wir erklären dem Parkranger, dass wir unterwegs zum Paria Canyon in der Vermilion Cliffs Wilderness Area sind, was noch 65 Kilometer Holperweg bedeutet. «Meinen Sie, unser Auto schafft das?» Er kreist um den Sedan, gedankenversunken an seinem Bärtchen zupfend. Dann streichelt er die Motorhaube. «If it's your own car, don't do it. If it's a rental, beat it up!»

Paria Canyon

Als ich am nächsten Morgen den Zeltreißverschluss öffne, blicke ich über eine merkwürdig weiß-rosa Landschaft, nicht weit vom Eingang des Paria Canyon (ausgesprochen wie «Mariah» Carey) entfernt. Wir sind die einzigen Gäste des Whitehouse Campground. Stille liegt wie ein Balsam über der Landschaft. Hier, im Herzen des Colorado Plateaus, zu dem auch Grand Canyon, Bryce und Arches gehören, beginnt die Vermilion Cliffs Wilderness Area. Der Paria Canyon ist eines der Tore zu diesem unbekannten, schlecht zugänglichen und atemberaubend schönen Gebiet.

Wir setzen die Rucksäcke auf, die besonders schwer sind wegen der 2 Liter Trinkwasser pro Person pro Tag! Das Wasser haben wir bei der Ranger Station eingefüllt, fünf Kilometer zurück, wo wir auch die Permits abgeholt haben, die wir über das Internet schon von zu Hause aus geregelt hatten. Der letzte Teil der Tour führt nämlich durch ein streng geschütztes Gebiet: Coyote Buttes. Nur zwanzig Leute pro Tag dürfen dieses Gebiet betreten.

Fünfhundert Meter hinter dem Campground verschwindet der Weg und wird in den nächsten fünf Tagen nicht mehr zu Vorschein kommen. Unserem Hiking Guide zufolge müssen wir dem trockenen Flussbett folgen, doch jetzt fließt hier ein Strom. Egal. Wasser hatten wir erwartet, allerdings ein paar Kilometer weiter. Die Wanderschuhe werden ausgezogen, die alten Turnschuhe an, und außer abends beim Zelt bleibt das vier Tage lang so.

Das Tal wird rasch enger und ist umgeben von Formen und Farben, die man nicht im rauen Backcountry erwartet, sondern in lieblichen Märchen. Während der ersten Kilometer sehen wir ausschließlich die Farben Weiß und Rosa, wonach Altrosa die Vorherrschaft übernimmt, unterbrochen von Rot und Gelb in Form horizontaler Streifen. Verschiedene Bildhauer scheinen sich hier ausgelebt zu haben. Leicht gestörte Typen, aber mit Humor. Überhängende Felsen ruhen auf schiefen Säulen. Einige Wände sind mit einem komplizierten Muster aus Löchern und Höhlen verziert, zum Teil wieder mit Säulen dazwischen. Und hier und dort stehen gigantische Teepees neben dem Fluss, benannt nach ihrer Wigwamform. Sie ähneln allerdings eher Frauenbrüsten, einschließlich Brustwarzen. Die rosa-gelbe Schichtung sieht aus wie Sahnetorte, man möchte am liebsten hinein beißen. Würde man so ein Ding auf den Platz vor einem Kunstmuseum stellen, dann wäre es schon bald berühmter als die gläserne Pyramide vor dem Louvre. Hier sind Dutzende über die Landschaft verteilt.

Sieben Teepees bilden das Dekor unseres ersten Zeltlagers, The Seven Sisters. Unsere zweite Stelle, auf einem Zwischenplateau über dem Paria, hat einen noch höheren Märchengehalt. Zum Beispiel der Tisch, an dem wir unser Trockennahrungsdiner essen: wie von einem 70er-Jahre-Plattencover der symphonischen Rockband Yes. Um uns herum balancieren Steine auf hauchdünnen Säulen, liegen perfekt runde Kugeln - von Murmelgröße bis zu einem halben Meter Durchmesser - und ziehen Petrified Dunes mit ihrer zierlichen Schichtung die Aufmerksamkeit auf sich. Buchstäblich alles ist aus demselben Material: kein Zuckerguss, sondern Sandstein.

 

 

An diesem Abend spielt unsere Fantasie, die inzwischen wohl ziemlich gereizt ist, uns einen Streich. Als wir bereits den Eingang zu The Narrows erkennen, in denen der Paria ein Stück weiter verschwindet, sehen wir aus der engen Schlucht zwei schwankende Sandstein-Gestalten zu Vorschein kommen. Sie kommen genau auf uns zu und sprechen amerikanisch.

«Don't do it! Just don't!» Unter den Sandkrusten erkennen wir zwei Wanderer, Mann und Frau. «It's hell there. Wir wandern schon unser ganzes Leben durch den Wilden Westen, wir sind einiges gewöhnt, aber für einen Moment dachten wir, dass unser Trail hier enden würde. Wir haben den ganzen Nachmittag brusttief im Treibsand festgesessen. Glücklicherweise konnte ich mich langsam zu Susie vorarbeiten und sie schließlich auf eine Sandbank schieben, mich selbst dabei noch tiefer verankernd. Mit festem Boden unter den Füßen konnte Susie mir einen Stock reichen und ziehen. Tun Sie sich selbst einen Gefallen und warten Sie wenigsten einen Tag, bevor Sie hineingehen. Das Wasser geht jetzt zurück, die Strömung nimmt ab, der Sand wird zur Ruhe kommen.»

Durch den Regen, der vor unserer Ankunft gefallen ist, fließt zuviel Wasser in The Narrows, und das hat große Mengen Schlamm und Sand mit sich gebracht. Unter und hinter den Stellen, an denen das Wasser strudelt und donnert - in The Narrows reicht das Wasser von Wand zu Wand - kann der Sand durch Vibrationen nicht bis zum festen Boden sinken.

Es ist keine Strafe, einen Tag länger im Märchenparadies bleiben zu müssen. Besonders seit wir wissen, dass morgen die Hölle losgeht.

Sie erweist sich lediglich als Vorhof. Das Wasser ist gesunken und keine strudelnde Masse mehr. Wir erkennen Susies Sockel - jetzt eine ausgeprägte Sandbank - und die Stöcke stoßen auf Boden. Wir sinken nur knietief ins Ungewisse. Mit einem halben Meter Fluss dazu stehen wir noch immer bis zur Unterseite der Rucksäcke im Wasser. Dann erreichen wir die Buckskin Gulch, eine Seitenschlucht des Paria Canyon.

Buckskin Gulch

«Hell of a place!» flüstert mein Wanderkamerad Mick, unsicher um sich blickend. Keine Hölle der Flammen, sondern der Dunkelheit. Eine Unterwelt, gefüllt mit merkwürdigen Farbreflektionen und tödlicher Stille. Der längste Slot Canyon der Welt - so schmal, dass unsere Gestellrucksäcke sich mitunter festklemmen - bläst uns einen kalten, unfrischen Atem ins Gesicht.

Nach drei Kilometern versperrt eine sechs Meter hohe Gerölllawine den Durchgang, der Boulder Jam. Wir haben uns auf diese Klettertour vorbereitet, aber ein Seil, das die vorigen Wanderer zurückgelassen haben, erleichtert uns die Sache. Es kann nicht lange hier hängen, denn die Ranger beseitigen konsequent jedes Hilfsmittel. Würden sie das nicht tun, dann wüsste niemand, in welchem Zustand es sich befindet. Und nur ein paar Flash Floods reichen aus, jedes Seil unzuverlässig zu machen.

Wir gehen weiter. Das Plumpsen und Platschen in den zahlreichen Teichen, bei denen man nie weiß, wie tief sie sind, ist das einzige Geräusch. Plötzlich hören wir ein anschwellendes Rauschen. Es steht in allen Büchern, und auch der Ranger hat es gesagt: die größte Angst des Wanderers in der Vermilion Cliffs Wilderness kündigt sich mit einem Brummen, hoch und tief zugleich, an. In Gedanken sehen wir die Mauer von Wasser, Schlamm und Steinen auf uns zu kommen. Zehn Meter hoch. Wer nicht darin ertrinkt, wird an einer Wand zerquetscht. Oder man bekommt fußballgroße Steine, die im schnell fließenden Wasser schweben wie Sandkörner in einem Bach, an den Kopf gedonnert. In Panik schauen wir uns an: eine Flash Flood!!! Es gibt keinen Unterschlupf, die Wüste liegt 120 senkrechte Meter weiter oben. Niemand hat jemals eine Flood in der Buckskin Gulch überlebt.

Dann sehen wir, akrobatisch zwischen kurvigen Felswänden flatternd, eine Krähe um die Ecke kommen, ihr rauschender Flügelschlag widerhallend. In einer Höhle über uns lässt sie sich nieder und beobachtet uns. Den Rest des Tages wird sie uns begleiten. Das Licht wird mysteriöser, und die von Flash Floods ausgehauenen und polierten Wände nehmen bizarrere Formen an. In der blaugrauen Dämmerung sehen wir die schuppenförmigen Rückenplatten eines Stegosauriers auftauchen. Und viele Kurven weiter schiebt sich aus der Dunkelheit ein zierlich gebogenes Segel hervor, gefertigt aus feinstem Satin. Wir lassen das Unterweltschiff passieren.

 

 

«Riechst du das?»

«Diesen Geruch wie ein Drache mit Paradentose?»

Die Krähe macht sich auf zum Erkundungsflug. Wir sehen sie am Rande des Cesspool wieder, aus dem sie etwas Undefinierbares hervorzieht. Ein großer Tümpel mit stehendem Wasser, faulenden Pflanzenresten und glücklosen Wüstentieren, die in die Schlucht gefallen sind. Wir sehen sie nicht, wie spüren sie. Tiefer noch als in The Narrows müssen wir durch die schleimige Masse waten, den Rucksack über dem Kopf, den Brechreiz unterdrückend und aufpassend, dass wir nicht stürzen. Glücklicherweise folgt ein Stück weiter ein Teich mit hellem Wasser, sodass wir den Schmutz abspülen können.

Viel Zeit nehmen wir uns nicht dafür, denn die Gulch ist noch lang und jede Möglichkeit für ein Zeltlager fehlt. Als die Schlucht endlich breiter wird, hat die Dämmerung eingesetzt; wir stellen unser Zelt auf. Diese Dunkelheit ist uns bedeutend lieber als die des Darmkanals der Unterwelt. Wir genießen die reine, würzige Wüstenluft. Im Feuerwerk der Sterne können wir Andromeda, unsere benachbarte Galaxie, mit dem bloßen Auge erkennen. Innerhalb eines Radius von hundert Kilometern sehen wir kein störendes Licht einer Stadt.

The Wave

Heute ist der Tag unseres Permit für Coyote Buttes angebrochen. Hier liegt The Wave, das bestgehütete Wandergeheimnis der USA. Und eigentlich scheint die Organisation der VCWA das Geheimnis nicht preisgeben zu wollen. In keinem Wanderführer wird das Naturwunder erwähnt, und wir haben keine Wegbeschreibung mitbekommen. Allerdings hat der Ranger uns beim Abholen der Permits ein paar Fotos markanter Stellen unterwegs gezeigt, die wir uns einprägen sollten, um die Route zu finden. Auf der gedruckten Übersichtskarte, die er uns mitgegeben hat, fehlt The Wave jedoch, ebenso wie auf der topografischen Karte. «Versteifen Sie sich nicht darauf», meinte er. «Sperren Sie Ihre Augen weit auf, denn denen werden Sie in ganz Coyote Buttes nicht glauben.»

Im Morgendämmern erklettern wir die Sand Hills. Als wir oben stehen, geht die Sonne auf, und wir glauben tatsächlich unseren Augen nicht. Vor uns, unten, erstreckt sich eine Landschaft voller Schokoladenbrüste. Rechts, in der Richtung, die der Ranger beschrieben hatte, wartet ein Gebiet mit mathematisch korrekten konischen Bergen auf uns, knallrot mit weißen Streifen. Vielleicht sind es unsere Hormone, die uns zur sinnlichen Schokoladenlandschaft führen, weg vom rechten Weg, wie das öfter so ist. Und natürlich verlieren wir im Rausch der Schönheit jegliches Richtungsgefühl.

Wir gehen den ganzen Vormittag. Keine Wave. Aber der Ranger hatte recht: es spielt keine Rolle. Wir überqueren eine zwei Kilometer lange Ebene, gepflastert mit fünfeckigen orangefarbenen Steinen mit jeweils einem Meter Durchmesser. Wir fühlen uns wie Archäologen in einem vergessenen Reich der Giganten.

Mick hofft, die Wave in den roten Bergen rechts finden zu können, ich meine in der Ferne eine Leere in der Landschaft zu erblicken, die der große Wash sein könnte, von dem der Ranger sprach. Wir gehen getrennt weiter und vereinbaren, dass derjenige, der die Wave findet, einen dreifachen Schrei ausstößt.

Während ich jeden Moment Micks Rufen erwarte, überquere ich das Tal. Die Hügel auf der gegenüberliegenden Seite sehen nach den gerade erlebten Wundern sehr gewöhnlich aus. Plötzlich müde von den vielen Kilometern und der glühenden Sonne, mache ich mich auf die Suche nach Schatten für eine Mittagspause und betrete eine enge Schlucht. Dahinter öffnet sich eine gigantische Welle aus zäher roter Flüssigkeit mit weißen Streifen. Als hätte jemand Crème fraiche in Kürbissuppe gerührt. Es ist so überwältigend, dass ich meine Stulle vergesse, ebenso wie den vereinbarten dreifachen Schrei. Ich betrete eine Seitenwelle, ein ganzes Netz von Wellen, einige eng und halb unterirdisch. Beim Herausklettern lande ich auf hundertmal vergrößertem Krokodilsleder. Dann sehe ich plötzliche eine Gruppe ockergelber Riesenschildkröten durch die Landschaft watscheln. Oder sind es die Dächer von Lehmhütten eines noch unentdeckten Volkes?

 

 

Ich beende mein aufgeregtes Umhergelaufe und setze mich hin. An Mick denkend, will ich rufen, aber es gelingt nicht: ein Kloß im Hals. Vollkommen allein in einer Halbwüste, so groß wie Frankreich, sitze ich da, wahrscheinlich verlaufen, denn wo ist der Rückweg? Doch keine Gehirnzelle, die daran denkt. Sie sind beschäftigt. Im Chor, eine Matthäus-Passion mit einer Million Stimmen, äußern sie ihr Glück.

Drei herzzerreißende Urschreie durchbrechen schließlich die Stille, alle fünf Minuten wiederholt. Zunächst erscheinen vier Wanderer. Den Drachen, den sie als Quelle des Gebrülls vermuteten, vergessen sie sofort, als sie die Wave betreten. Dann kommt Mick. Er setzt sich oben neben mich, schaut über die Riesenschildkröten, die Welle, die konischen roten Berge in der Ferne und schweigt.

 

Übersetzung aus dem Niederländischen: Britta Smit

 

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Diese Reportage wurde in OP PAD, dem führenden niederländischen Outdoor-Magazin, und VIVRE L'AVENTURE aus Frankreich veröffentlicht. Die belgische Reisezeitschrift TOURING EXPLORER, das italienische Glossy-Magazine VOYAGE und 4-SEASONS in Deutschland folgten.


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